„Happy“ Birthday

Heute feiern wir 8. Geburtstag.
Heute vor 8 Jahren ist meine kleine mehr oder weniger heile Welt zusammengebrochen.
Zumindest vorerst.
Heute vor 8 Jahren ist meine Tochter Paula still geboren.
Ich hatte eine Infektion, meine Werte verschlechterten sich und die Geburt musste eingeleitet werden. Viele leidvolle Stunden, körperlich als auch emotional für meinen Mann und mich.

Dabei sollte sie das i-Tüpfelchen werden… Gerade ein Jahr vorher haben unsere Jungs unser Leben bereichert. Ebenfalls ein langer Weg. Kinderwunschbehandlung, Risikoschwangerschaft, Kaiserschnitt – oder viel schöner – Bauchgeburt in der 35. SSW mit anschließendem Aufenthalt auf der Neonatologie.

Was für eine Überraschung, als sich völlig unverhofft und ungeplant unsere Tochter ankündigte. Was für ein Geschenk. Dem ersten Schreck folgte große Zuversicht. Wir hatten das mit den Zwillingen super gewuppt bekommen, da würden wir auch das dritte Baby schaffen zu versorgen. Wir waren ja im Flow und voller Liebe.

Das räumliche Drumherum passte schon etwas länger nicht mehr, daher entschieden wir uns, unseren heißgeliebten Kiez gegen ein grünes Plätzchen im Umland zu tauschen. Ich sah uns schon… Mich mit dickem Bauch, während die Jungs im Garten spielen. Meinen Mann und mich mit drei kleinen Kindern. Uns zu fünft.
Leider sollte es anders kommen. Zumindest vorerst.

Ich bekam diese bakterielle Infektion, die zwar erkannt, aber vermutlich nicht ausreichend behandelt wurde. Ich spürte das, wurde aber nicht ernst genommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich leider noch nicht genug Vertrauen in mein Bauchgefühl, daher ließ ich das zu. Die Infektion stieg auf und entzündete meine gesamte Gebärmutter. Wir waren zwischenzeitlich in drei (!) Krankenhäusern.

Mein Körper wollte mich – schlau wie er ist – retten, also begann er, das, was da entzündet war, nicht mehr haben zu wollen. Das mein Verstand und meine Seele etwas ganz anderes wollten, interessierte nicht. Da eine Sepsis drohte, wurde die Geburt eingeleitet.

Eine ziemliche Tortur… Viele Stunden, viele Schmerzen, keine vernünftige Aufklärung, nichts. Nichts, dass es uns hätte erleichtern können. Nichts das uns hätte auf die Situation vorbereiten können. Nichts das hätte uns eine gute Verarbeitung ermöglichen können. Keinerlei Begleitung. N.I.C.H.T.S.
Wir waren zu zweit allein und verloren.

Die Kinderärzte hatten uns abgeraten, zu versuchen, ihr Leben nach der Geburt zu erhalten. Sie wäre ein so frühes Frühchen, dass sie vermutlich schwerstmehrfachbehindert wäre, wir sollten an unsere Zwillinge denken, die bräuchten ihre Mama bla bla bla… Leider gab es weder Zeit noch wirkliche Aufklärung, um uns in unserer Blase zu erreichen.

Meine Tochter starb bereits unter der Geburt und wurde somit still geboren. Eine Geburt, die in vielerlei Hinsicht unwürdig und schmerzvoll gewesen ist.

Wir wussten nicht um die Option, sie selbst zu waschen, zu versorgen, Zeit mit ihr zu verbringen. Das bedauere ich bis heute und gerade beim Schreiben merke ich wieder, wie sehr es fehlt und schmerzt. Wir haben einen kleinen Moment mit ihr verbracht. Allein und unbeholfen. Dieses wunderschöne, fertige und zarte Wesen… Sie sah aus, wie einer ihrer Brüder als Baby. Wir waren überfordert. Berührten sie, aber hielten sie nur im Körbchen aus Angst, etwas kaputt zu machen. Eine Erfahrung, die fehlt. Deren fehlen es schwerer macht zu realisieren.

Ich brauchte das dringend. Es war mir ein ganz starkes Bedürfnis. In all dem Umzugschaos, dem Alltagswahnsinn und natürlich der unendlichen Trauer spürte ich das immer wieder. Da die Beerdigung erst zwei Monate später stattfand, war Paula lange in der Pathologie. So konnte ich einige Wochen später etwas Zeit mit ihr verbringen. Die Klinik hatte eine Abschiedshalle und dort war ich mit ihr. Ich schaute sie einfach nur an, machte Fußabdrücke, Fotos. Hielt sie, küsste sie, sprach mit ihr, weinte und wickelte sie in ein schönes Tuch mit ihrem Namen. Ich gab ihr einen langen Brief mit, den ich ihr geschrieben hatte.

Für diese Zeit bin ich sehr dankbar, auch wenn einen Unterschied macht, ob das eigene Kind frisch geboren ist oder aus der Pathologie gebracht wurde.

Diese gemeinsame Zeit war der erste Schritt in Richtung Heilung, der erste Schritt in Richtung Selbstbestimmtheit in diesem ganzen Chaos. Er war wichtig und gut, für alles was folgte. Ich hatte meinem Bauch endlich ein JA gegeben und auf ihn gehört. Die Beerdigung gestalteten wir genau so. Was wollen wir, was brauchen wir, was passt für und zu uns, wo fühlten wir dieses ja?
Hier erlebten wir zum Glück das Gegenteil und wurden sehr wertschätzend und freundlich in all dem unterstützt.

Die Beerdigung war gut und ein weiterer Meilenstein. Wir hatten unsere Tochter endlich in unserer Nähe und nicht in der Klinik, die viele Kilometer entfernt gewesen war. Der Friedhof war lange eine wichtige Anlaufstelle für mich. Ich saß dort, schrieb, las, starrte Löcher in die Luft.

Heute, 8 Jahre später, geht es mir gut. Es war ein langer Weg für uns als Familie. Für die kleinen großen Brüder, die jeden Abend meinen Bauch eingecremt und sich auf ihre Schwester gefreut hatten. Für meinen Mann, der in all dem Wahnsinn irgendwie geschafft hat, weiterzumachen, zu arbeiten, das neue Heim vor- und das alte nachzubereiten. Für unsere Freunde und Familien, von denen nicht mehr alle da sind, die es vor unserem Verlust waren. Für meine zweite Tochter, die weiß, dass sie eine Schwester hat und gerade jetzt mit sechs Jahren sagt, dass sie es so schön finden würde, wenn Paula noch leben würde, um mit ihr zu spielen und die ein genaues Bild davon im Kopf hat, wie sie jetzt aussehen würde.

Es ist ein ganz anderer Lebensweg geworden, als ich es gedacht oder geplant hatte.
Und ich bin meiner Tochter so unfassbar dankbar dafür, was sie neben dem Schmerz alles wunderbares mit in mein Leben gebracht hat. Klar, anders wäre es mir lieber gewesen und doch ist es, wie es ist. Und es kann wieder gut werden, auch wenn man das nicht für möglich hält. Tiefe Wunden heilen. Narben bleiben. Diese Narben erinnern aber auch daran, was hinter einem liegt. Was man überlebt hat. Was einen vielleicht zu der Person gemacht hat, die man heute ist.

Ich danke Dir dafür, dass Du mich zu der Frau gemacht hast, die ich heute bin. Mit offenem Herzen voller Liebe und gutem Bauchgefühl. Mit großer Dankbarkeit für vieles, das vielleicht sonst als selbstverständlich genommen würde. Mit dem Herzensanliegen und dem Engagement, Frauen und Familien selbstbestimmte Geburten und Abschiedsprozesse zu ermöglichen.  Dafür, dass Du immer ein Teil von uns und allgegenwärtig für uns bist, auch wenn Du nicht „da“ bist. Dafür, dass Du vielleicht ein Auge auf Deine Geschwister wirfst.
Ich liebe Dich und Du fehlst.