Das Thema Erinnerungsstücke von und für seine Liebsten treibt mich schon seit einiger Zeit um.
Was hat denn überhaupt eine wirkliche Bedeutung für mich? Was brauche ich, um mich ganz mit dem Herzen und allem Drum und Dran zu erinnern und mich nah zu fühlen? Wie kann ich das dann im alltäglichen Leben um mich haben, um die Verbindung zum Verstorbenen noch präsenter zu haben?
Als Mama frage ich mich natürlich auch, was ich denen die bleiben „da“ lassen möchte. Jeder tickt anders, braucht etwas anderes und findet anderes emotional wertvoll.
Beim Schreiben und Schreiben und Schreiben merke ich, dass ich das Thema differenzieren möchte. Daher werden es wieder mehrere Blogs.
Zuerst möchte ich mich dem Thema als Mama annähern… Total spannend, was mir als erstes in den Sinn kommt. Darum sollte es eigentlich gar nicht gehen, aber gut. Lasse ich dem Flow mal freien Lauf…
Von meiner Tochter, die ich still geboren habe, habe ich damals alles aufgesogen, was irgendwie möglich war. Wohl wissend, dass das, was dazu kommen wird, sehr begrenzt sein würde. Die Dinge aus dem Krankenhaus; Fotos; Bilder vom Sarg; die gleiche Decke, in die ich auch sie gewickelt habe. Erste Geschenke, die wir schon bekommen hatten; Schnuller, die ich bereits gekauft hatte; eine getrocknete Blume vom Gesteck der Beerdigung und und und.
Die erste Erinnerung, die mir vorhin in den Sinn kam, waren spannenderweise die Ballons, die wir zur Beerdigung haben steigen lassen. Sie blieben damals im Baum hängen. Über ein Jahr lang leuchtete vor allem der pinke Stern luftleer über dem Kindergrabfeld und war schon von Weitem zu sehen. Er begrüßte mich bereits aus der Entfernung und mit der Zeit fand ich es sogar schön ihn da flattern zu sehen.
Erst zwischen den grünen Blättern vor blauem Himmel. Diese wurden dann bald gelb und braun und der Himmel war immer öfter grau. Im Winter leuchtete der Ballon zwischen den nackten Ästen, an manchen Tagen der einzige Farbklecks in der Tristesse des Himmels, an anderen vor einer strahlenden Wintersonne mit feiner Schneeschicht bedeckt.
Ich dachte die Knospen des Frühjahrs würden ihn vom Ast sprengen, aber dem war nicht so. Er hing und leuchtete, wenn auch etwas blasser. Eines Tages in Spätsommer war er weg. Ich sah es schon von Weitem. Es war ein komisches Bauchgefühl, der Verlust hat direkt getriggert. Ja, nur ein Ballon. Und doch DER Ballon, das Vertraute, die „Normalität“. Ihr könnt Euch vielleicht vorstellen, wie ich mich gefreut habe, ihn am Boden liegen zu sehen… Der Moment der Beerdigung war nochmal so präsent und die Trauer hat mich unmittelbar und intensiv umhüllt.
Und dann haben der mittlerweile doch recht verblichene Ballon und die grüne Blätterkrone mir einfach auch aufgezeigt, dass bereits ein ganzes Jahr vergangen war. Ein ganzes Jahr, dass wir als kleine Familie, als Paar und auch jeder als Individuum gemeistert und überlebt hatten. Und es ging uns sogar ganz gut. Wir hatten es geschafft sowohl unsere Tochter als auch ihren Tod in unsere Leben zu integrieren. Ja, die Trauer war noch da. Und sie war okay. Ich glaube rückblickend, dass wir damals schon eine Idee davon hatten, dass sie vermutlich auch bleiben und nur anders werden würde.
Zu diesem Zeitpunkt als der Ballon fiel, war ihre kleine Schwester, unsere zweite Tochter bereits unterwegs. Mit dem Ballon in den Händen fragte ich mich damals, ob er dort am Baum vielleicht nicht mehr gebraucht wurden und deshalb jetzt runter kommen konnten. So Gedanken, die irgendwo zwischen Realität, Spiritualität und Kauderwelsch liegen und die glaube ich, viele verwaiste Eltern haben, als Zeichen deuten und als tröstend wahrnehmen.
Gerade beim Schreiben lächele ich über diese Gedanken, von denen ich wirklich einige hatte. Auch heute noch manchmal. Der Ballon liegt jetzt in unsrer Erinnerungsbox bei all den anderen Heiligtümern, die wir von unserer Tochter bewahrt haben. Mal sehen, ob daraus irgendwann nochmal etwas anderes entsteht oder er in irgendwas verarbeitet wird. Gerade verspüre ich große Lust dazu.
Jedes Jahr öffne ich die Box zu ihrem Geburtstag. Spannend für mich ist es zu merken, dass einige Dinge mit der Zeit an Bedeutung verlieren. Ich hatte zum Beispiel einen Glasstern zum Grabsteinherz dazu bekommen. Der war mir wahnsinnig wichtig am Anfang. Ebenso die noch originalverpackten Schnuller. Nach ein paar Jahren hatte ich dazu keinen Bezug mehr und habe diese Dinge nicht wirklich mit meiner Tochter in Verbindung bringen können. Die Kastanie aber, die ich nach der Beerdigung gesammelt hatte schon. Oder die Kette, die ich mir als Erinnerung zum Immerdabeihaben gemacht hatte. Die ist schon lange gerissen und trotzdem wird sie immer etwas ganz Besonderes bleiben. Ganz besonders wird auch der Ballon bleiben, der mich durch das erste Jahr begleitet hat und dadurch ebenso gezeichnet und verändert war, wie wir anderen.
In den letzten Wochen ist mir nochmal klarer geworden, dass die emotionale Bedeutung sich mit der Zeit verändern kann. Zumindest in meinem Fall ist es so. Ich belasse die Box bisher, wie sie ist und sortiere nicht aus. Ich schließe aber auch nicht mehr aus, dass ich das irgendwann mal machen werde. Dieser Gedanke war vor ein paar Jahren undenkbar für mich…
Was mir in Gesprächen mit anderen Menschen und beim Nachforschen in meinen eigenen Tiefen außerdem wieder klar geworden ist, ist die Tatsache, dass für jeden etwas anderes von emotionalem Wert ist und jeder sich auf unterschiedliche Arten erinnert.
Das hängt mir als Mama der drei sehr lebendigen Kinder nach. Ich glaube so wirklich kann ich gar nichts für sie planen oder vorbereiten. Von den rechtlichen und organisatorischen Basics wie Testament, Patientenverfügung etc. mal abgesehen, um sie im Ernstfall entlastet zu wissen.
Was ich machen möchte (und das schiebe ich nun schon seit bestimmt zwei Jahren), ist es, jedem Kind einen Brief zu schreiben. Ich finde es so wichtig, dass ich mich bei meinen Kindern dafür bedanke, mein Leben so sehr bereichert zu haben. Ihnen zu schreiben, wie besonders sie alle für mich sind und wie sehr ich sie liebe. Außerdem möchte ich ihnen schreiben, wie es mit ihnen war, ihnen ein paar Dinge mitgeben, die sie selbst vielleicht nicht mehr erinnern, weil sie noch zu klein gewesen sind.
Klar, im Moment besteht keine Notwenigkeit. Ich bin gesund und mit Ende 30 auch noch nicht in dem Alter, in dem an tägliches Ableben zu denken ist. Und doch ist der Teufel ein Eichhörnchen und man kann nie wissen, was das Leben bereit hält. Daher ist das Briefeschreiben etwas, dass ich auch jetzt schon wichtig finde. Übrigens nicht nur für meine Kinder. Und man kann das ja einfach ergänzen, wenn eine weitere Lebensphase, ein weiterer Lebensabschnitt vollbracht ist.
Wenn es dann irgendwann mal soweit sein sollte, werden die, die bleiben hoffentlich selbst spüren, was sie haben möchten und brauchen. Ich kann den Gedanken, ich sterbe und die anderen, vor allem eben meine Kinder bleiben und müssen sich neu finden und aufstellen und damit zurechtkommen nicht wirklich denken. Ich finde aber das Bild, dass sie mit allen anderen, die mögen, nochmal zusammenkommen, meine Dinge durchstöbern und sich etwas aussuchen können, ganz schön und irgendwie tröstlich. Würde ich mir bei denen, die ich liebe ebenso wünschen.
Alles Liebe
Betty